"Jeder Mensch bekommt zu seiner Geburt die Welt geschenkt. Die ganze Welt. Aber die meisten von uns haben noch nicht einmal das Geschenkband berührt, geschweige denn hineingeschaut."

Sonntag, 16. April 2023

Kanada - Notaufnahme und Gesundheitssystem

Die Wintersaison neigte sich dem Ende und somit auch meine Anstellung bei den Huskies. Ende März hatte ich meinen letzten Arbeitstag, der recht unerwartet kam. Eines Morgens sagte mir mein Chef, dass dies eben mein letzter Tag sei...Ähm, ok. Die Anzahl der Touristen wurde deutlich weniger, aber dass ich so schnell meine Arbeit niederlegen sollte, damit hatte ich nicht gerechnet...

Bevor diese tolle Zeit aber vollends zu Ende ging, feierte ich hier noch meinen Geburtstag Anfang April und wir waren als Team noch zu einem Abschlussessen. 

Etwas geknickt verbrachte ich dann die letzten Tage in Quebec mit meiner Genesung. Ich hatte schon seit mehr als zwei Wochen derbe Husten - tagsüber wie nachts. Wenn ich ausgeatmet habe, hab ich ein Kratzen vernommen. Natürliche Heilmittel wie Inhalation und Zwiebel(husten)saft brachten mich nicht weiter. Auch Halstabletten nicht. 

Ich dachte, es würde dezent besser werden. Aber in der Nacht vor meiner Abreise haben sich die Symptome deutlich verschlimmert, ich hatte einen stechenden Schmerz in der Brust, der bis zur Schulter ausstrahlte und bei jedem Einatmen da war. Deshalb entschied ich mich, in Montréal ins Krankenhaus zu gehen. Mit meinem Vermieter ging es am von Arundel zurück in die Großstadt. Er war so lieb und fuhr mich zu meinem neuen Couchsurfinggastgeber, der mich verständlicherweise erst einmal einen Covid-Test hat machen lassen. Der war negativ. Ich verstaute kurz meine Sachen, bevor es zum Krankenhaus ging. Mein Gastgeber gab mir noch den Tipp mit auf den Weg, dass ich maßlos mit meinen Symptomen übertreiben sollte, sonst würde ich stundenlang in der Notaufnahme warten müssen..  

Ich schleppte mich also fußläufig zum Krankenhaus. 

Wie ich die kanadischen Notaufnahme kennenlernte


Ablauf in der Notaufnahme

15.15 Uhr Ankunft. War in ganz Kanada keine Spur mehr von den Resten der Coronazeit, so war es hier noch Vorschrift, einen Mundschutz zu tragen. Der wurde aber gratis zur Verfügung gestellt. Ich habe mich kurz mit meinem Namen registriert. 

16 Uhr: Eine Schwester der Notaufnahme nahm meine Daten sowie Symptome auf. Und das genau dort, wo ich 45 Minuten vorher mich am Schalter angemeldet habe. Sprich: Jeder andere Mensch, der gerade um einen herum ist, bekommt alles mit. Keine Spur von Privatsphäre oder Diskretion. Das war unangenehm. Ich habe natürlich nicht maßlos übertrieben aber ich war echt kurz davor, zu weinen. Ich bin jemand, der recht viel an Schmerz ertragen kann und sehr sehr spät jammert, aber jetzt wäre mir danach gewesen. Mir ging es wirklich schlecht. 

16.15 Uhr: Ich musste zu einer zusätzlichen Registrierung, bei der ich Angaben zur Versicherung machen musste und bei der mir gesagt wurde, dass der Besuch hier etwa 245 Dollar kosten wird. Ich bekam eine Nummer, ein Bändchen mit meinem Namen drauf und setzte mich wieder hin. 

Und dann saß und saß und saß ich. Ich hatte Kontakt mit meinem Host, der mir anbot, etwas vorbeizubringen. Aber da ich darauf eingestellt war, dass ich warten müsste, war ich gut versorgt. Er kam trotzdem kurz rum und checkte die Lage. Ein kurzweiliger Zeitvertreib. 

Ich schaute mich um: hier scheinen alle schon sehr lange zu sitzen, man sah es den Patienten an. Viele versuchten zu schlafen oder sich zu beschäftigen. Einige sahen schlimmer aus als ich, andere nicht. Die Dame neben mir saß schon 14 (!!!) Stunden hier und sprach mit anderen, die schon 20 Stunden da gewesen sind. Herrje! 

Ich setzte mir eine persönliche Warte-Deadline, die ich einige Male überschritt. Es gab Tafeln, die sagten, dass man das Personal nicht fragen solle, wie lange es noch dauert. Denn das war nicht vorhersehbar. Sobald ein Patient eingeliefert wird, der eine Behandlung nötiger hat, hat dieser Vorrang. In der Millionenstadt Montreal also keine Seltenheit. 

22.15 Uhr: Ich habe 52 neue Patienten in sieben Stunden Aufenthalt verzeichnet. Und ich warte immer noch. Und ich habe auch genug Zeit, nach Alternativen zu recherchieren (ob bspw. meine Auslandskrankenversicherung Privatkliniken inkludiert). 

00.15 Uhr: Mir reicht´s. Ich bin per se kein geduldiger Mensch, aber neun Stunden in der Notaufnahme zu sitzen und zwischendurch regt sich so gar nichts...das scheint absurd. Ich erinnere mich an die Dame, die 20 Stunden saß und wollte nicht das gleiche Schicksal ereilen. Zumal mir dann auch noch von anderen Patienten gesagt wurde, dass selbst wenn man aufgerufen wird, das noch nicht das Ende ist. Man sieht erst einmal einen Notfallarzt und je nachdem, was man hat, muss man dann noch auf den Spezi oder bestimmte Untersuchungen wie Ultraschall warten. Meine Nachbarin konnte ihr Blut bereits abgeben aber wartete nun seit zwei Stunden auf das Ergebnis. 

Ich gehe zur Registrierung, widersetze mich den Regeln und frage, wann ich denn in etwa dran sein könnte. "Nicht vor sieben Stunden". Ich schluckte. Und ich setzte mich wieder hin. 

02.15 Uhr: Meine Sitznachbarin erkundigte sich ebenfalls und kam mit der gleichen Info zurück: "noch sieben Stunden". 

02:30 Uhr: Mir reicht´s endgültig. Ich bin wütend und verzweifelt zugleich. Ich gehe zur Registrierung und will mich abmelden, aber es ist niemand da. 

02:40 Uhr: Der selbe Mann, der mich aufnahm, checkte mich aus. Ich habe nichts zahlen müssen, da keine Konsultation.

03:15 Uhr: Ich bin in zurück in der Wohnung meines Couchsurfinghosts. 11,5 Stunden Notaufnahme ohne Erfolg. Hustend schlafe ich erschöpft ein. 

Der nächste Morgen. 

Eine Alternative musste her. Ich rief Privatkliniken an, um hoffentlich kurzfristig einen Termin zu bekommen. Ich wählte Kliniken, die ich mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen konnte. 10.42 Uhr versuchte ich es fünf Minuten lang, bei einer Klinik durchzukommen. Ich erreichte aber keine reale Person, sprach auf den Anrufbeantworter. Zwei Minuten später wurde ich zurückgerufen und bekam einen Termin für 13.30 Uhr. 

13.30 Uhr: Ankunft in der Privatklinik. 

Rockland MD - kann ich empfehlen!

13.45 Uhr habe ich ebenfalls ein Vorab-Gespräch mit der dortigen Krankenschwester gehalten. Sie klärte mich über die Abläufe und mögliche Kosten auf. Und es lag an mir, darüber zu entscheiden, was für Behandlungen ich haben und dementsprechend bezahlen wollte. Die vorläufige Diagnose war eine Lungenentzündung. Ich entschied mich für einen Bluttest (Bestimmung der Entzündungswerte), Röntgen (Gefäßveränderungen) sowie CT. Ein EKG hingegen lehnte ich ab. Direkt im Anschluss sah ich den gutaussehenden Doktor in meinem Alter. Mit dem führte ich ein Gespräch bis 14.20 Uhr und er hörte mich auch ab. Im Anschluss wurde mir Blut abgenommen, ich bekam Antibiotika verschrieben und mir wurde eine Klinik für´s Röntgen empfohlen. Die nahm an dem Tag jedoch keine Patienten mehr an. Ich telefonierte umher und bekam 16.45 Uhr in einer anderen einen Termin. Einen CT-Termin bekam ich ein paar Tage später. Dieser sollte noch besser zeigen, ob meine Lunge ggf. schon teilweise beschädigt oder kollabiert sei (dauerte aber länger, deshalb Rötgen vorab). 

Der Arzt rief mich am nächsten Tag an und bestätigte die Diagnose Lungenentzündung. Die Röntgenbilder waren aber glücklicherweise unauffällig. Ich nahm die Antibiotika, die auch schnell anschlugen, ruhte mich bei meinem Couchsurfinghost aus. Auch das CT war zum Glück unauffällig (bzw. zeigte keine schweren Schäden). Mir blieb genau eine Woche, um fit zu werden. Dann nämlich hatte ich eine mehrtägige, nicht ganz günstige Zufahrt gebucht, die mich auf die andere Seite des Landes bringen sollte...

Die Radiologie schien zunächst sehr "speziell"

Gezahlt habe ich alles sofort vor Ort:

232,05 Dollar um den Doktor zu sehen

206 Dollar für den Bluttest vor Ort

21,76 Dollar für Antibiotika in der Apotheke

120 Dollar für´s Röntgen

650 Dollar für´s CT. 

Die Rechnungen habe ich abfotografiert und bei meiner Auslandskrankenversicherung eingereicht. Die hat mir zum Glück alles in Euro zurückerstattet (wenn auch mit einem leichten Defizit durch einen schlechteren Wechselkurs). Aber das Geld muss man erst einmal parat haben und bekommt es ja auch nicht gleich am nächsten Tag zurück. Das zeigt mir, dass das Gesundheitswesen in Kanada echt mau ist. Es gibt zwar eine staatliche Krankenversicherung...jedoch muss man sich bei dieser auf erhebliche Wartezeiten einstellen. Nicht nur in der Notaufnahme, sondern auch bei Operationen oder anderen Spezialbehandlungen. 

Ähnlich wie in Deutschland hat man einen "family doctor" als Allgemeinmediziner. Da jemanden zu finden, der noch Patienten aufnimmt, ist ein K(r)ampf. Wie mir gesagt wurde, gibt die Regierung nur eine bestimmte Anzahl an Arztlizenzen pro Jahr frei, Privatisierungen werden nicht gefördert bzw. auch versucht, zu unterdrücken. So entsteht diese Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage. 

Nach meinem Aufenthalt in der Notaufnahme wurde ich übrigens noch zwei Mal vom Krankenhaus angerufen, wie es mit mir weiterging. Das ist irgendwie beruhigend. 


Hier ein paar Beispielpreise für Arztkosten in Kanada. Da kann man nur hoffen, nie krank zu werden... 

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