"Jeder Mensch bekommt zu seiner Geburt die Welt geschenkt. Die ganze Welt. Aber die meisten von uns haben noch nicht einmal das Geschenkband berührt, geschweige denn hineingeschaut."

Sonntag, 29. März 2020

Neuseeland - eine neue Ära: Auf in den Süden!


Auf in den Süden!



Die Südinsel begrüßte uns mit vielen Bergen, Weinreben und Sonne. Es galt eine Unterkunft zu finden. Wir entschieden uns für Nelson, denn die Stadt hatte einen recht schönen Strand und war auch halbwegs groß. Zudem wussten wir von einem anderen Reisenden, dass es noch freie Parkplätze auf dem Campground mit Toiletten und Wasserversorgung gab. Und ganz zur Not war dort die Chance auch größer, eine Arbeit mit dazugehöriger Unterkunft zu finden.

Wir kamen 20 Uhr auf dem Parkplatz an und sahen schon ein paar Vans stehen. Das war ein normaler Parkplatz in einer Art Einkaufspassage mit Zugang zu öffentlichen Toiletten sowie ein Duschhaus (mit Waschmaschinen) und Trinkwasser.

Vor Ort war schon Pierre aus Frankreich, den wir ganz am Anfang in Auckland mal kurz getroffen hatten (über Couchsurfing) und mit dem wir ab und an in Kontakt waren. Und ein paar andere Reisende, die auch nicht wussten, wie sie sich jetzt damit verhalten sollten. 

Wir verbrachten die Nacht auf dem Parkplatz. Am nächsten Tag aßen wir Frühstück und fuhren zum Strand, bevor das auch unter die Sanktionen fallen sollte. Am Nachmittag wurden bereits alle öffentlichen Toiletten am Strand geschlossen. Zum Glück war die outdoor Dusche noch zugänglich, denn das Waschhaus auf dem Parkplatz hatte auch an dem Tag nur bis 10 Uhr auf und schloss auf unbestimmte Zeit. 

Tahunanui Strand von Nelson

Zurück auf dem Parkplatz unterhielten wir uns mit den anderen Reisenden (ein Pärchen aus Frankreich, zwei Deutsche und zwei Belgier). Das hatte schon fast Züge einer Parkplatzparty. 18.30 Uhr vibrierten alle Handys gleichzeitig. Jeder bekam eine Warnmeldung auf seine einheimische Nummer. Darin stand, dass Mitternacht Level 4 in Kraft tritt und man dann dort bleiben soll, wo man sich gerade befindet. Dass man keinen Kontakt zu anderen außer denen haben soll, mit denen man zusammenlebt und dass das Ganze ein paar Wochen andauern wird. Die Stimmung schlug um.

Und dann wurde es ernst.


Wir hatten von anderen Quellen erfahren, dass man wohl im Van bleiben dürfte, solange der wirklich self contained (also selbstversorgend) ist. Ja, wir hatten Wassertanks und ein Chemieklo. Aber das wollte keiner von uns für vier Wochen nutzen. Wir hofften auf dem Campingplatz bleiben zu dürfen und die öffentlichen Toiletten zu nutzen.


der tolle Parkplatz, der uns noch Ärger bereiten sollte

Aus dem Nichts kam auf einmal ein Mann im Auto herangefahren, der ziemlich verwahrlost aussah (und dessen Hosenstall auslandend offen stand). Wir wussten nicht so wirklich, was er wollte, bis er uns fragte, ob wir noch einen Schlafplatz bräuchten. Er hätte im Hostel ein Apartment mit 6 Schlafplätzen. Da hatten die 3 Pärchen sofort zugesagt. Er meinte er hätte auch Doppelzimmer, also gingen Silja, Sarah, Pierre und ich auch mal mit hin (schon aus reiner Neugier ;) ). Das Apartment war wirklich ganz nett! Ein Zimmer mit vier Betten, ein Doppelzimmer im Durchgang und eine eigene Küche sowie Bad. Pro Woche sollte das 450 NZDollar kosten. Sogar ein Schnäppchen in diesen Zeiten!

Die Doppelzimmer, die er uns zeigte, waren hingegen echt nicht schön. Abgeranzt, es hat muffig gerochen und die Wohnung war auch nicht so toll. Dafür sollten wir 200 Dollar die Woche zahlen. Nach ein paar Minuten Bedenkzeit entschieden wir uns aus dem Bauchgefühl heraus dagegen, tauschten aber mit der 6er Gruppe Nummern aus und sie wollten uns ab und an duschen lassen und mit uns abhängen. Dazu sollte es aber gar nicht mehr kommen.

Während wir noch mit den Jungs quatschten, machte Pierre auf dem Parkplatz Bekanntschaft mit einem einheimischen Mädchen, welches ebenfalls zwei Schlafzimmer in ihrem Elternhaus anbot. Und das sogar ganz kostenlos weil sie ebenfalls Couchsurferin war. Das klang nach der perfekten Lösung! Wir verabredeten uns für den nächsten Tag mit ihr und schliefen eine weitere Nacht auf dem Parkplatz, die Autos wurden sichtbar weniger.
 
Nelson nach dem Shutdown: Alles leer und geschlossen



Polizeibesuch

 
Nach dem Frühstück kamen zwei Polizistinnen entspannt auf uns zu. Sie waren super freundlich und stellten uns diverse Fragen (ob wir zurecht kämen, wo wir her kommen, ob wir das mit dem Shutdown gehört haben, ob wir Hilfe bräuchten oder Fragen hätten). Ich fragte, ob wir weiterhin zum Strand dürften. Durften wir. Allerdings nicht mit dem Auto und am Strand langlaufen war erlaubt, aber nicht dort chillen. Und zwei Meter Abstand halten! Okay…

Kurze Zeit später hielt ein weiterer Polizist neben uns an und wollte sicher gehen, dass wir nicht mit dem Auto rumfuhren. Und dann kamen weitere zwei Paar. Zu Höchstzeiten waren sechs Polizisten um uns herum. Und der Ton änderte sich auch. Die zwei Herren vor uns sagten uns, dass es nicht mehr gestattet sei, die öffentlichen Toiletten zu benutzen. Und dass diese wohl bald gesperrt würden. Wir sagten ihm, dass wir 16.30 Uhr mit der Couchsurferin verabredet sind. Und dann gingen sie wieder. Zu allem Überfluss kam auch noch ein Typ mit einer fetten Kamera und machte ungefragt Fotos von uns. Das Ergebnis seht ihr hier: https://www.stuff.co.nz/national/120615490/finding-homes-for-the-homeless-a-priority-as-police-enforce-lockdown

Das Mädchen haben wir nie wieder gesehen, denn sie sagte letztendlich per SMS ab. Ihrer Mum ginge es nicht gut. Mhh. Schlecht. So ging unsere Unterkunft gerade flöten. Genauso wie mein Handyakku, den ich nirgends laden konnte. Es musste schnell was Neues her!

Stunden der Zermürbung


Abstand halten vor dem Supermarkt!
Die Suche begann von vorn, die Zeit lief gegen uns. Am einfachsten wäre es gewesen, in das Hostel vom Vortag zu gehen. Aber das wollten wir alle irgendwie nicht. Pierre suchte nach Airbnbs, ich nach Couchsurfing-Gastgebern sowie in Facebook-Gruppen, Sarah und Silja nach Hostels, Arbeitsplätzen und ebenfalls bei Facebook.
Zwangspause

Die Stunden vergingen, ich musste zwischendurch in den Asia-
Supermarkt und musste um Strom schnorren. Zwischen zwei Kühltheken hockend habe ich dann auf meinem Smartphone alles durchwühlt und angeschrieben, was geht. Bilanz nach ein paar Stunden:

Pierre hatte ein Airbnb gefunden, welches 1800 Dollar im Monat kosten sollte. Sarahs billigstes Hostel kam 11 Euro am Tag. Keine Arbeit. Campingplätze nur self contained. Hilfe-Hotline nur für Touristen, die eben ins Land eingereist sind. Shitstorm bei Facebook als ich in einer Gruppe, in der ich ein Hilfegesuch einstellte, auf die Frage, ob wir nicht von unserer Regierung nach Deutschland zurückgeholt werden wollen, mit „nein, wir möchten bleiben“ geantwortet hab. Da ging´s los…Wir fühlten uns echt nicht mehr willkommen hier. Die Leute haben absolut keine Ahnung über unsere Situation aber feindeten mich wirklich an.

Ich kann zwar nachvollziehen, dass die Bevölkerung echt schlecht auf die Reisenden zu sprechen ist, weil die meisten Coronafälle Reisende waren. Trotzdem hasse ich es, zu pauschalisieren. Und man stellte uns hin, als hätten wir die Situation (Absage der Couchsurferin und Suche nach Alternativen) absichtlich herbeigeführt. Wahnsinn. Ich löschte den Post und trat aus der Gruppe aus. Zu viel für meine sonst eigentlich entspannten Nerven in dieser Situation.

Ich hatte dazu neun verschiedene Couchsurfinghosts angebettelt und einer wollte uns tatsächlich aufnehmen – allerdings nur uns Mädels. Vier Leute waren ihm zu viel (auch nachvollziehbar). Ich hatte ihm quasi schon zugesagt, da kam Kerry, die ich ebenfalls über Facebook kontaktierte, mit einem weiteren Vermittlungsversuch um die Ecke. Sie schickte mir die Nummer von Julie, die sie nur flüchtig kannte, aber die noch Platz haben könnte.

Und dann rief Julie auch mich schon an. Der Stimme und ihren Infos zu urteilen dachte ich, sie wäre eine ältere, alleinstehende Dame. Sie meinte die Etage unter ihr wäre noch frei mit zwei Schlafzimmern und einer Küche. Ich sagte, dass das gut passen würde und wie viel sie dafür haben möchte. Sie meinte „pay as much as you want“. Ich besprach mich mit den Anderen und obwohl keiner von uns wusste, was uns erwarten würde (und ob es da überhaupt Internet gäbe), entschieden wir uns für diese Unterkunft. Ich sagte dem Couchsurfer wieder aber dankte ihm dennoch ausgiebig. Schön, dass es in solchen Zeiten auch noch so helfende Menschen gibt.

Die große Überraschung


Wir fuhren noch einmal einen Großeinkauf holen, denn Julies Haus befindet sich etwas abgelegen am Cable Bay. Der nächste Supermarkt ist 20 Minuten Autofahrt entfernt.

Als wir eintrafen, war es bereits dunkel. Wir fanden es auch schwer, den Eingang zu finden. Der Carport war mit „Treehouse Hidewaway“ beschrieben. Das hätte sie ruhig mal erwähnen können :D

Julie beschrieb das Haus am Telefon mit: „hier ist viel Grün, es lässt sich ganz gut hier aushalten“. Wir tapsten vorsichtig die Stufen des Hanges herunter, denn wir wussten nicht, ob wir richtig waren und was uns erwarten würde. Wir klingelten an einer Glocke und dann kam Julie raus. Sie ist eine nette Dame in den Mitt-oder Endvierzigern (geschätzt). Ihr Sohn war beim Papa. Sie führte uns zu unserem Apartment. Und was soll ich sagen: Schon der Weg dahin war vielversprechend: alles aus Holz, diverse Etagen, alles versteckt und am Ende standen wir vor einem Apartment, welches uns den Atem verschlug.

Ich hatte ein paar durchgelegene, vielleicht schmuddelige aber dennoch liebenswerte Schlafräume erwartet. Aber hier bot sich uns eine Unterkunft, die sonst Pärchen für ihre Flitterwochen buchen und die vom Guardian zu den besten 10 Unterkünften der Südinsel gewertet wurde. Wir konnten unser Glück kaum fassen! Ich hätte Julie am liebsten umarmt. Aber zwei Meter Abstand und so…

Aussicht vom Apartment
Das Meer direkt vor der Tür!
und zum Glück Beschäftigungsmöglichkeiten


Sie meinte ihre Gäste hätten storniert und die Wohnung stünde eh frei. Es wäre auch noch etwas im 4. Level frei, wenn das nicht reicht. Ich meinte nur, dass wir zu 3. Im Van schliefen und das mehr als perfekt sei.

Wer noch mehr Eindrücke haben möchte, kann hier mal nachschauen: https://www.cablebaylodge.nz/

Nun ging es noch darum, wer wo schläft. Diese wichtige Entscheidung haben wir mit einer Schätzwette getroffen. Die Frage war, wie teuer wohl eine normale Nacht in diesem Apartment wäre. Pierre sagte 128, ich 150, die Mädels 200 und mehr. Am Ende waren es 400 NZD O_o

Zum Glück tauschen wir aber nach einer Woche mal durch, der Fairness halber =)

Resümee.


Wir wussten nicht, ob es richtig war, kurz vor knapp auf die Südinsel zu flüchten. Wir wussten nicht, ob es richtig war, das Hostel abzusagen. Und die gratis Unterkunft beim Couchsurfinggastgeber. Aber wir haben alles richtig gemacht, würde ich sagen. Ich könnte mir fast keinen besseren Ort vorstellen, um die Isolationszeit zu verbringen. Und dann hier auch meinen Geburtstag zu feiern.

Silja hatte eine Phase, in der sie kurz davor war, sich für die Rückholaktion eintragen zu lassen. Aber zum Glück hat sie ihre Meinung wieder geändert. Wir stehen das jetzt hier zusammen durch. Das ist jetzt schon eine unvergessliche Zeit und das schweißt uns zusammen. Die Stimmung ist übrigens immer noch bestens. Weil wir das Beste daraus machen. Ab jetzt gibt’s auch keine Ausreden mehr für Sport! ;) (okay, außer die neue Erkältung, die ich dank der Kältetheken-Ladezeit wieder an der Backe habe -.- ).

Ich hoffe trotzdem, dass wir bald weiterziehen dürfen, denn sonst könnte sehr bald der Winter vor der Tür stehen und dann wird’s im Van nicht nur eng sondern auch verdammt kalt…

Es bleibt spannend. Viele Grüße aus der ungeplanten Notunterkunft.

Caro 



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